London-Edinburgh-London 2009


Ein Bericht von Nicole :
Es war noch sehr früh, ich glaube Ende Dezember (?) um sich anmelden zu müssen für LEL, sonst wären die Startplätze nicht mehr vorhanden gewesen...

Nicht groß gezögert, handeln war angesagt. Und so meldeten sich Klaus, Ralf, Ingo und ich denn dann auch mal an. Der Schnee, die Kälte lag noch in der Luft, die Bäume kahl, das Grün irgendwo geschützt im Bauche der Natur, noch lange schlafend, bevor es sich dann räkelnd Monate später beim ersten Sonnenstrahle des Jahres vorsichtig herauszuschälen wagte. Frost in der Luft, Eisblumen an den Scheiben, rote Nasen im Gesicht und Schichten an Klamotten am Leibe...
Wetter hin, Wetter her, die winterlichen Straßen des Berliner Umlandes mußten dennoch unter unsere Pneus genommen werden, half ja alles nix, wenn man einigermaßen fit sein wollte, um den ersten 200er im Jahr ohne konditionellen Zusammenbruch bestreiten zu können.

Die gesamte Brevet-Serie in diesem Frühjahr war denn auch mit dem uns immer nett begleitenden (fast-)Dauerregen und der damit verbundenen inneren und äußeren Kühle verbunden, ganz egal ob wir unsere Berlin-Brandenburg-Brevets abstrampelten, oder unser Glück beim 600er in Nordbayern oder beim gleichdistanzigen am Niederrhein suchten. Das Wetter war nicht auf unserer Seite.

Und so kamen mir denn nach all den kalten Regenfahrten doch Bedenken, ob es eine gute Entscheidung war, nach GroßBritannien zu reisen, um den dortigen 1400er im sogenannten Sommer zu bestreiten. War doch allgemein bekannt, was es dort mit dem Wetter so auf sich hat...

Und ich als Frostbeule und Sonnenhungrige..

Nun ja, Konditionell und mental gut vorbereitet stiegen wir denn auch bei gutem Wetter in London ausm Flieger, ließen uns im Flughafenhotel nieder und suchten am Abend vergebens nach ner Nudel auf unserem Teller, für die wir doch eigentlich bezahlt hatten?
Ralf hatte wohl mit seiner Pizzabstellung etwas mehr davon und gab nix ab!
Aber da wir ja an jenem Abend weder unter nem unter uns RadlerInnen wohl gut beaknnten Hungerast noch unter anderen gravierenden kalorientechnischen Mängeln litten, gönnten wir dem Ralf die große Portion. Bei ihm war sie jedenfalls bestimmt gut aufgehoben...

Trotzdem etwas hungrig aber guter Dinge ging es dann in die wohl letzte ausgedehnte Schlafnacht für die kommenden 4,5 Tage.

Am Startort, der Jugendherberge in Cheshunt, angekommen empfing uns auch gleich eine nette Atmosphäre von gleichgesinnten Verrückten. Wir fühlten uns wohl, denn es gab nun Keinen mehr, der fragte, warum man denn sowas nur machen würde, ob man noch normal sei und überhaupt.

Umso schöner war es, sich all die unterschiedlichen Räder anzusehen. Interessant, wie jeder auf eine andere Art und Weise auf die Reise gehen wollte: von minimalst bepackt (war eigentlich ein Ersatzschlauch am Rad?) bis hin zu Packtaschen rechts und links am HR-Träger, plus Isomatte für das kleine Schläfchen zwischendurch...

Viele tolle, sinnvolle und durchdachte Details am Rad, tolle klassische Audax-Rahmen, ausgefallene Spezialräder wie vollverkleidete Liegeräder oder ein Dreirad, Tandem oder Faltrad. Irgendwie war alles vertreten.

Zu meiner Freude waren auch einige Frauen am Start.

Unser war um 14h am Sonntag, zusammen mit vielleicht 50 Anderen. Viele waren schon vor uns gestartet, einige noch nach uns.

Der Startschuß fiel, und wir setzten uns in Bewegung, neugierig, aufgeregt und auch etwas bange blickend auf die lange Strecke.

Der Himmel zog sich unmerklich zu...

Irgendwie wußte ich so gar nicht, was denn da auf mich zukommen würde, bin ich doch bis Dato nur einige 600er gefahren, während Klaus, Ralf und auch Ingo, meine drei lieben Mitstreiter aus Berlin, schon Paris-Brest als Erfahrug sammeln konnten.
Was mir am meisten Sorge und Angst bereitete war aber die Sache mit dem Wetter: Aussicht auf Regen, dauernaße Klamotten und Füße und Kälte in den Knochen behagten mir doch irgendwie gar nicht so...

Über alles Weitere konnte ich mir kein Bild machen, aber über genanntes schon aus etlichen vorangegangen Brevets und Ausfahrten.

In meinem Kopf war deshalb auch eher der Gedanke, ich würde mich auf eine Reise begeben, nicht in nen Wettkampf (den höchstens mit sich selbst...) und wenns nicht mehr geht, dann gehts nicht mehr und ich höre auf. Bloß keinen Druck machen und über das Quälen hinausgehen...

Der erste Tag war echt flott, dabei wollten wir die Sache doch ruhig angehen lassen?
Frei nach dem Motto: aber heute rollen wir nur, ganz ruhig oder ?

------ (wer kennt das nicht als Ansage beim gemeinsamen Training???)------

Die erste Nacht kam und ging. Tropfen fielen -glaube ich- aber alles im grünen Bereich.
Der kommende Tag war mit Sonne gespickt und wir alle guter Dinge. Bei Ralf waren kleine Einbrüche zu verzeichnen, die sich dann aber nach nem kleinen, gemeinsamen Nickerchen im Feld mit Sonne im Gesicht ---herrlich---ins Nichts auflösten und wir wieder ein gemeinsames Tempo fanden. Die Landschaft erinnerte mich bis dahin sehr an unser schönes Umland in Brandenburg und Mecklenburg Vorpommern, nur daß es in GB viele kleine hübsch gemauerte, hüfthohe Steinmäuerchen gab anstatt der deutschen, meist kalt anmutenden Gartenzäune. Auch die schönen Backsteinbauten, die vielen Schafe und der
Linksverkehr waren anders, neu und gewöhnungsbedürftig. Unverbaute, freie Sicht über schöne Landschaften erlaubten unseren Blicken auch, die Wetterlage sofort zu blicken, einzuschätzen und sich so seine Gedanken zu machen...
Dicke Wolken in sämtlichen weiß-bis-dunkelgrau-Tönen waren unsere treuen Begleiter, vom Winde rasch herbeigeweht, unglaubliche Geschwindigkeiten, die auch uns gut vorankommen ließen.

Die zweite Nacht brach herein.
Wir legten uns Schlafen, ich glaube es waren 4 Stunden? Sie taten gut, auf jeden Fall.

Und natürlich das wunderbare Essen, das uns in so reichhaltiger, abwechslungsreicher und liebevoll zubereiteter Form angeboten wurde, immer mit einem Lächeln der KöchInnen im Gesicht, egal, was für ein reges Kommen und Gehen hungriger RadlerInnen herrschte.
Alle wurden stets zuvorkommend behandelt, umsorgt, fast schon bemuttert. Um unser Wohl wurde sich gesorgt, Fragen, Bedürfnisse so ausführlich, bedacht und gut wie möglich beantwortet und befriedigt, jede Hilfe wurde einem angeboten.

Unglaublich.

Wendepunkt in Dalkeith/Edinburgh, bagdrop: Frische Klamotten, saubere Haut, voller Magen, schmerzendes linkes Knie... Salbe und Schmerzmittel als erste Hilfe, hoffentlich nicht zu spät, dachte ich mir. Der Weg zurück gen London, gespickt mit all den
Höhenmetern, die wir von der Hinfahrt schon kannten. Der Wind, der uns bis zum Wendepunkt schob , drehte leider nicht mit unserer Rückfahrt, auch wenn wir noch so hofften.

Die schottischen Highlands waren nicht ohne, und wir mußten bergab treten, um vorwärts zu kommen, so sehr schob der Wind sich uns entgegen. Orkanböen ließen einen Teilnehmer in den Graben drücken, wie uns später berichtet wurde. Teilweise wurden Teilnehmer auch nicht mehr aus den Kontrollen gelassen. Der Regen setzte zum ungezählten Male erneut ein, durchnäßte uns, Schweiß von innen, Regen von außen. Funktionskleidung am Rande der Belastbarkeit. Die Nacht zu Mittwoch brach ein, als wir triefend gegen ca. 22.00h die Kontrollstation Eskaldamuir zum zweiten Male erreichten.

Inzwischen war diese schon in eine schwer zu definierende Unterkunft verwandelt:

Überall auf den Gängen triefte es von den naßen Klamotten derjenigen, die noch da waren. Diejenigen, die schon längst weiter gefahren sind, hinterließen als Andenken Pfützen und durchgesiffte Plastiktüten, die bis dahin als Schutz für die Füße dienten und nun auch nicht mehr ihren Dienst errfüllen konnten. Neue Tüten mußten her.

Wir trafen auf Unseresgleichen: Sportsleutchen, die nach Betten, nach Essen, zum Duschen anstanden. In dem Raum, in dem das Essen verteilt wurde, sah man müde Gesichter, die sich auf den Tischen kurz abgelegt hatten, um Schlaf zu finden, wenn die Betten belegt waren, unter den Tischen weitere seichte Pfützchen.

Die Scheiben waren beschlagen, denn es wurde zum Glück gut geheizt. Ein wenig erinnerte mich diese ganze Stimmung und Atmosphäre, dieses Gedämpfte in der Luft und das Beschlagene an den Scheiben, das Knistern des Ofens an Vorweihnachtliches. Sehr obskur diese Vorstellung, es war August...
Die Klamotten vor einem Ofen übereinander gehängt, Schlafende auf den Böden, im Gang.
Der Regen prasselte ohne Gnade von Außen an die Fenster, EssensDüfte mischten sich mit denen des Schweißes, Müdigkeit, Hoffnung auf Sonne und Trockenheit, die Nacht noch lang...
Um 1 uhr morgens wurde ich geweckt, der Nächste stand schon an meinem Bett, wollte auch den wohlverdienten Schlaf halten. Oropax raus aus den Ohren, rein in die nassen Klamotten, unschlüssig am Eingang stehend, ungläubig in den nicht enden wollenden, heftig prasselnden Regen schauend, in die Dürsternis der Nacht. Genau das war der Moment, in dem ich mich fragte, was ich den eigentlich für einen Sch... , was ich denn da überhaupt mache, wofür, warum dieses Geqüäle, warum in diese naße, kalte Nacht, schon völlig durchgekühlt von den naßen Klamotten, in die man zuvor geschlüpft ist.

Müde.

Wie unwirklich die Umstände waren, im August, im Sommer, sich so was anzutun. Warum nicht im heißen Spanien, unter strahlend blauem Himmel seine Runden drehen, mit gutem Café con leche, Vino blanco und Tapas?

Antwort fand ich nicht.

Ich teilte Klaus meine Gedanken mit und erhoffte mir scheinbar so ne Art Schalterumstellung und Erlösung:

Statt des Regens, der Nacht, die einfach mal ganz real vor uns lagen, eher Sonne und Tageslicht, flirrende Straßen und reichlich Schlaf.

Stattdessen seine trockene Antwort: "Es ist Krieg".

Da mußte ich denn doch Schmunzeln und begab mich etwas leichter mit Klaus, Ralf, der netten Russin aus St.Petersburg, der das alles scheinbar gar nix ausmachte (?) auf die Weiterreise durch die Nacht. Das Knie muckte ziemlich, egal, Schmerztabletten rein und weiter. Der Regen hörte irgendwann auf, auch der Tag kündigte sich an.

Schön.

Müdigkeit machte sich breit, gar nicht mal in den Muskeln, die funktionierten erstaunlich gut, auch der Allerwerteste muckte nicht wirklich. Aber im Kopf schlich sich immer mehr dieses Bedürfnis ein, sich doch mal so richtig hinzulegen und mal richtig schön zu Schlummern...

Weiter Treten, im Wechsel der Gezeiten und Launen des Himmels.

Irgendwann war mir kalt, obwohl wir stets kurbelten, stets bergauf hatte ich den Eindruck. Aber die Eindrücke waren irgendwann nicht mehr recht mit der Realität zu vereinbaren, glaube ich. Während des Tretetens verbrachte ich die Zeit damit, mir vorzustellen, wie schön es wäre trocken zu sein. Und ich begann im Kopf damit, mir die durchtrieften Klamotten irgendwie während des Weiterfahrens vom Leibe zu pellen, ohne daß die Anderen wegen mir anhalten müßten. Im Kopf bekam ich das hin, im wahren Leben klappte es nicht mit der Umsetzung, ich probierte es, bekam es aber nicht wirklich hin.
Und da ich keine Lust mehr auf dieses naße Zeug hatte, blieb ich einfach stehen und zog Handschuhe, Überschuhe, Socken, Regenjacke aus. Tat das gut! Der erste Fahrtwind war kühl, doch somit hatte der Rest Stoff am Körper endlich Gelegenheit trocknen
zu können.

Fährt man mit Anderen, ist man immerzu unter einem gewissen Druck, es ihnen UND auch sich selbst recht zu machen. Muß man mal aufs Örtchen/ hinter nen Busch, müssen alle anhalten. Das nervt die Mitfahrer, und man selbst fühlt sich einerseits schlecht, weil die Truppe nun anhalten muß und andererseits um Liter erleichtert, die es sich seit Stunden in der Blase gemütlich gemacht haben. Auch an den Kontrollstellen hatte ich immer das Gefühl, ständig hetzen zu müssen:
Stempel holen, sich versorgen (WC, Sitzcreme etc), Essen, Flaschen auffüllen, nach den Anderen schauen, weiter...

Erfahrungen.

Am Mittwoch Abend, gegen 21h, kamen wir in Coxwold an (ca.bei Kilometer 1050), und ich gab auf. Mein Knie ging gar nicht mehr, an Druck-auf-die-Pedale-geben-und-wieder-hochziehen war nicht im Traume mehr dran zu denken. Es ging einfach nix mehr.

Klaus und Ralf fuhren weiter, rein in die Nacht. Ich legte mich schlafen, schlafen, schlafen, während draußen der Regen wieder einsetzte...

Die Ärmsten, dachte ich noch, während sich ein traumloser, unruhiger Schlaf über mich legte.

Am nächsten Morgen hatte wohl jemand den richtigen Knopf am Himmel gefunden und gedrückt: strahlendster Sonnenschein.
Ich stand auf, war allein, die Zeitlimits waren ja schon lange abgelaufen für jene Kontrollstelle. Ein komisches Gefühl, als ich dann so runter in den großen Raum kam, in dem am Abend zuvor noch alle saßen, aßen und sich nach Schlaf sehnten, weiterfuhren und weiter...
Nun saß ich da allein, mein Knie mit mir, sah draußen zur Sonne und kam mir ehrlich gesagt etwas verloren vor. Verlor mich in Fragen und kleinen Gedanken: warum, wieso...
Da setzte sich dann einer der lieben Orga-Leutchen zu mir, und wir redeten und tauschten aus. Das tat gut und gab mir wieder Zuversicht, daß meine Entscheidung aufzugeben, völlig in Ordnung war.

Was für nette Gesellen dies Briten. Ruhig und hilfsbereit, in jeder Lebenslage. Er half mir bei der Suche nach der nächsten und übernächsten Möglichkeit, einen Bahnhof anzusteuern, an dem es nen Zug gen London geben würde. Ich hatte keine Eile mehr, schluckte wieder n paar Schmerzmittel, setzte mich aufs Rad und genoß in unglaublichen Zügen diese Sonne auf der Haut und das radeln ohne Zeitdruck im Genick.Tatsächlich:
Wärme---hätte doch auch mal n bißchen früher kommen können oder?
Ich fuhr ganz langsam und horchte in mein Knie, das nicht viel sagte, war ja betäubt.
Nun hatte ich auch mal Zeit, in ne Art Supermarkt zu gehen und zu gucken, was es denn so Feines gibt im Land der Briten, schließlich mußte ich mich ja nun selbst versorgen.
Und so fuhr ich noch mal gute 80km zum Bahnhof, mußte dann erneut aufgeben und mir zugestehn, daß die Entscheidung, die LEL-Sache abzubrechen eine richtige Entscheidung war, ging doch echt wieder gar nix mehr mit dem Knie.

In Cheshunt bin ich dann Donnerstag Nacht um 22.30h angekommen.Es herrschte reges Treiben im Ziel an der Jugendherberge. Fröhliche Gesichter, gezeichnet und doch lächelnd.
Klaus und Ralf kamen wohl Freitag früh um 5 h ins Ziel, Ingo war schon weit vor mir da und schon wieder weg gen Heimat.

Der Freitag war wunderbar, nix machen, in der Sonne sitzen, mit lieben Gleichgesinnten quatschen, Erfahrungen, Erlebtes austauschen. Relaxen, Essen...

Sonntag in Berlin herrschten tropische Temperaturen, als wir vormittags ankamen. Wie gern wäre ich wieder aufs Rad und hätte ne nette Runde im Umland gedreht, körperlich war ich wieder ausgeruht, wäre da nicht die Sache mit dem Knie gewesen...

Herzlichen Glückwunsch euch Allen, die ihr durchgekommen seid. Chapeau.
Eine ganz tolle Leistung.

Für mich persönlich kommt eine Veranstaltung mit Längen größeren Ausmaßes mit einer doch recht ziemlichen Sicherheit nicht mehr in Frage, wenn sie in nördlichen Gefilden ausgetragen wird.

Eine Reise in s Innere war LEL alle Mal.

Nicole.

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